Das Prinzip des Mosaiks und der Raumgliederung seiner Szenen schachtelt der aus dem syrischen Efrin stammende Künstler in vielen kleinen Fragmenten vom Bildvordergrund zum -Hintergrund. Der Dunkelheit des Krieges setzt er eine Welt in leuchtender Farbe entgegen.
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Joseph Bakir wurde 1971 im Nordwesten Syriens, der Provinz Efrin, als sechstes von elf Kindern in eine Bauernfamilie hineingeboren, die mit harter Arbeit ihren Lebensunterhalt dem Boden abtrotzen musste. Dennoch blühte Josephs Phantasie schon als kleiner Junge auf. Inspiriert durch Comics und Zeichentrickfilme, malte er sie aus dem Gedächtnis nach. An den Ufern des Euphrat, wo er das Schwimmen lernte, zweimal fast ertrank, schwamm er sich frei für die Kunst und entdeckte dort seine künstlerische Leidenschaft als Skulpteur beim Formen von Figuren aus weichem Stein oder Sand. Im Alter von 10 Jahren gewann Joseph Bakir den ersten Preis in einem Kinderkunst-Wettbewerb, und seine Familie erkennt erstmalig sein großes Talent. Durch den Umzug der Familie in die Handelsstadt Aleppo war es Joseph mit 13 Jahren möglich, sich an der dortigen Hochschule für Kunst einzuschreiben. Von da an gewinnt er nahezu alle Schülerkunstpreise, egal, ob es sich um Landschaftsmalerei oder die Darstellung politischer Erfolge Syriens handelte. Da Joseph in der Kunst seine Bestimmung erkannt hatte, setzte er sich mit Beharrlichkeit, Mut und Ehrgeiz über seine ärmlichen Familienverhältnisse hinweg. Seine ersten Studien macht er als „Menschengucker“ in Bussen, in der Stadt, wo er menschliche Mimik und Verhalten beobachtet. Als er im Alter von 17 Jahren für die beste Skulptur beim Wettbewerb des dortigen Nationalen Museums Aleppo ausgezeichnet wird, fühlt er sich bestätigt seinen künstlerischen Weg weiter zu gehen. Mit 19 Jahren schreibt er sich mit Hilfe einer seiner Brüder gegen den Willen seiner Eltern in der angesehenen Universität von Damaskus für die Schönen Bildenden Künste ein. Er schafft als Bester die Aufnahmeprüfung dort, nimmt bereits ein Jahr später an seiner ersten großen Gemeinschaftsausstellung im Kulturzentrum von Damaskus teil. Man wird auf ihn aufmerksam und Fateh al Modarres, einer der wichtigsten Vorreiter syrischer, moderner Kunst, nimmt ihn in seine Meisterklasse auf. Die vielen Inspirationen und Förderungen dort bringen Joseph Bakir weiter nach vorne mit zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen. Mit dem akademischen Abschluss als Jahrgangsbester sieht Joseph Bakir seinen weiteren Weg als freischaffender Künstler klar vorgezeichnet. Zu Beginn der 1990er Jahre zieht er wegen der besseren künstlerischen Chancen nach Beirut in den benachbarten Libanon und verdient dort seinen Lebensunterhalt mit zahlreichen Aushilfsjobs unter anderem als Erntehelfer in Weinbergen, auf Feldern und Granatäpfel-Plantagen. Dort fährt er gleichzeitig für seine Malerei eine große Ernte ein, indem er seinen individuellen Malstil weiter entwickelt und in ihm viele Motive heranreifen, aus deren Schatz er auch heute noch schöpft. Was er malt, sind nicht mehr nur Beobachtungen der Anfangszeit. Er beginnt Geschichten zu erzählen von Menschen, Orten, Landschaften und von seinen Gefühlen bei der Betrachtung. Impression und Expression faszinieren ihn mehr als staatstragende Kunst, die man ihm, dem Erfolgreichen, mehr und mehr abverlangt.
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Mitte der 1990er Jahre wird es für den begabten Künstler Joseph Bakir immer drängender sein Land zu verlassen, das ihn als Staatskünstler ansieht, um seinen Eliten zu huldigen und deren Errungenschaften künstlerisch zu erhöhen. Ihn drängt es vielmehr zu seinem Wunschort Paris, der Stadt der Revolution, von Freiheit, Brüderlichkeit und Menschlichkeit, Zentrum des Existentialismus Sartres und der freien Künste. Auf beschwerlichen Wegen landet er zunächst in München und lebt nun in Köln, nur einige Bahnstunden von seiner Traummetropole entfernt. Es braucht einige Zeit des Ankommens und Sich-Einfindens in seiner neuen Schaffensheimat. Er lernt Deutsch, um sich verständlich zu machen und auszutauschen, und beginnt seinen künstlerischen Neuanfang. Ihm ist wichtig, dass seine Bilder zwei dialektische Ebenen beinhalten: die Positive, Ästhetische, ohne die dunklere Seite zu vernachlässigen. Wer die Welt in allen Facetten von allen Seiten betrachtet, kann auch Schwierigkeiten überwinden.
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Bakir liebt es, Landschaften aus seinem anderen Blickwinkel darzustellen und andere Menschen durch seine Malerei zu inspirieren, ihnen ebenfalls mit einem anderen Blick zu begegnen. Und: mit seinen Bildern Mut zu machen, dass sich in aller Düsternis immer auch ein „Schimmer“ Hoffnung abzeichnet – vorausgesetzt, der Betrachter ist bereit, genau hinzuschauen. Er mixt Landschafts- und Naturbilder im Stil des deutschen Expressionismus von Ernst Ludwig-Kirchner und Emil Nolde, die er als zwei seiner Lehrmeister beschreibt, weil sie das Zeitgeschehen der 1920er Jahre in ihrer Naturmalerei ebenfalls durchschimmern lassen. Wie damals Kirchner mit den Errungenschaften der elektrischen Beleuchtung spielt, mixt Joseph Bakir ebenfalls seine Naturbilder mit unterschiedlichen Techniken und Innovationen der Gegenwart. Es entstehen Bilder, in denen Orient und Okzident in einen wunderschönen orientalischen Farbteppich kunstvoll ineinander verwoben zu sein scheinen. So gesehen ist die Kunst Bakirs eindeutig europäisch inspiriert. Trotzdem spürt man in jedem Bild – selbst wenn es Landschaften Andalusiens oder der Toskana sind – den Einfluss seiner alten syrischen Heimat. In den warmen, sonnendurchfluteten Farben und seinen Kompositionen bringt er arabische Elemente in seine Malerei ein, die sein Markenzeichen sind.
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Das oft wiederkehrende Prinzip des Mosaiks und der Raumgliederung seiner Szenen schachtelt Joseph Bakir in viele kleine Teilräume vom Bildvordergrund zum –Hintergrund. als wären diese „Handlungs-Facetten“ einer Perspektive unterworfen. In dem Buch „BAKIR – Wenn der Mond nur eine Lampe am Himmel wäre“ schreibt Wolfgang Aichner 2008 treffend: „Bei Bakirs politischem Hintergrund könnte man die voneinander abgrenzten Parzellen des Bildraums als einen Verweis auf eine von harten Staatsgrenzen durchzogene Welt interpretieren. Kurdistan wurde im Vertrag von Sèvres 1920 und im Vertrag von Lausanne 1923 auf die Staatsgebiete Türkei, Syrien, Iran und Irak verteilt.“ Gleichzeitig erscheinen diese Parzellen bei Bakir wie Mosaiksteine seiner Erinnerung oder wie sein persönlicher Setzkasten von Erinnerungen und Augen-Blicken, in den er uns schauen lässt.
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Die Welt, wie Joseph Bakir sie sieht, ist facettenreich, aus vielen Ebenen, Flächen und Mustern zusammengesetzt. Es lohnt sich immer, näher dran zu gehen und in seinen Garten- und Landschaftsmalereien kleine Bilder in den Kunstwerken herauszulesen: das Emblem eines Liebespaares in klassischer Malerei ausgeführt, überraschend in eine Landschaft integriert, eine Meerjungfrau im Mond, aber auch Chiffren von Straßenschildern von Köln und Brüssel, versteckt in hellem Farbauftrag. Bei allem Leid gibt es immer Trost, bei Trauer das Geschenk der blauen Blume der Empathie, die wir aus der Romantik kennen. Mit seinen Figuren – meistens Frauen, aber auch Liebespaare, meist allegorisch gemeint und schwebend wie bei Chagall – beschwört er ein heute noch ferner gerücktes Arkadien von Frieden und menschlichem Miteinander. Aber er zeigt auch die Bilder der Flucht erstaunlich nah dran an unserer christlichen Mythologie, wie im Triptychon „Panorama“: das mit drei Flüchtlingen schwer beladene Maultier unterwegs aus der Helligkeit der heimatliche Tänze und Lieder in eine ungewisse Zukunft, die Mutter, die ihren gefallenen Sohn beweint, und der Künstler, der in einer neuen Welt ankommt, in welche die Bilder seiner Vergangenheit hineinschimmern. Joseph Bakir zeigt uns mit seinen Bildern die Faszination seiner Heimat, des Orients, und gleichzeitig die vielen Übereinstimmungen unserer zwei Kulturen, die gar nicht so befremdend sind – wenn die Humanität im Mittelpunkt steht.
Ausstellung
WeltFragMente / 21.10.22 - 5.23 / Galerie 10er-Haus
Farbenfreude der Melancholie
Weite Landschaften, den Blick sehnsuchtsvoll in der Ferne gerichtet, eine unglaubliche Farbintensität setzt der Künstler der Melancholie des Verlorenen, des Vergangenen entgegen. Vielschichtige Menschenbilder in die Ebenen des Seins aufgelöst, mosaikartig wieder zum ganzen gebracht, aber gerade dadurch tiefgründig und mit weiteren Erzählebenen versehen. Eine zerbrochene Welt, kaleidoskopisch fragmentiert, wird letztlich doch zu einem harmonischen Ganzen zusammengefügt.
Die Ausstellung "WELTFRAGMENTE" in der Galerie 10er-Haus von 21. Oktober 2022 bis Mai 2023.
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